Post by Stefan RamSpoiler folgen!
"The Martian" gelesen. Angenehme und spannende Lektüre.
Spoiler!
Eine ballaststoffarme Diät (nur Proteine, Vitamine und
Kohlenhydrate) sollte Probleme bereiten. In dem Buch wird es eher
andersherum dargestellt: Die wenigen in Kartoffeln enthaltenen
Ballaststoffe bereiten dort dem Erzähler besondere Effekte.
- Das Hauptproblem ist eher, dass ein Mensch nicht genug CO2 produziert um
den pH in der Station im Zaum zu halten und er und seine Kartoffelpflanzen
am Ende um den Stickstoff in der Luft konkurrieren würden. Bei zuviel
Sauerstoff über lange Zeit beginnt die Lunge kalt zu verbrennen und zeigt
Effekte wie bei starken Rauchern. Gleichzeitig steigt das
Schlaganfallrisiko, weil die Fließgeschwindigkeit des Blutes abnimmt,
schließlich ist das Blut immer maximal mit Sauerstoff gesättigt.
- Überhaupt schweigt das Buch sehr laut über das Atemgasmanagement.
- Der hypergole Brennstoff, den Watney zur Gewinnung von Wasser nutzt,
würde in einer atmosphärischen Lande-Einheit nicht vorkommen. Die Variante
aus dem Film kam nur in russischen Satelliten der 70er vor.
- Wirklich alle derzeit genutzen hypergolen Brennstoffe haben giftige oder
stark ätzende Verbrennungsprodukte, meist Stickstoffdioxid oder Ammoniak.
(Auch wenn Watney dann genug Stickstoff zur Verfügung hätte.)
- Es sind bereits jetzt genug Satelliten um den Mars mit SDRs (Software
Defined Radios) an Bord und der Mars hat keine Atmosphäre und kaum
Magnetfeld. Das Bordfunkgerät eines Rovers käme bereits "raus".
- Einer bemannten stationären Marsmission gingen viele Aufbaumissionen und
die Errichtung einer orbitalen Station voraus. Das Maximum was derzeit pro
Flug möglich ist, ist etwa das Gewichts- und Volumenäquivalent eines VW-
Bus. Eine Station der gezeigten Größe wären also ein paar mehr als die
genannten Aufbaumissionen. Plus: Jemand muss das mit dem Aufbau auch tun.
Watney könnte also einen der humanoiden Roboter
https://www.nasa.gov/technology/r5/, die da rudelweise rumlaufen werden,
um sein Funkgerät bitten.
- Die MMRTG (Multi-Mission Radioisotope Thermoelectric Generator) also
Plutoniumbatterie wird auf keinen Fall verbuddelt sondern auf Fels
platziert und sie hat, wenn sie auf den Sitz eines Rovers passt,
vielleicht 300W bis 500W.
- Das aktuelle medical kit der Nasa enthält keine Wundnahtklammern sondern
Nähsets und Wundklebeband und derzeit entwickelt man eher das Klebeband
weiter.
- Bislang gibt es keine Technologie zum Herstellen von Methan oder
Wasserstoff aus der Marsatmosphäre, die leichter wäre als der Treibstoff
für den Wiederaufstieg. Ich weiß, dass Elno M. da was anderes erzählt,
aber in der Tendenz ist in der Mars Atmosphäre abseits der Pole kein
Wasser greifbar. Die Geschwindigkeit der Sublimation
https://www.astronews.com/news/artikel/2009/04/0904-002.shtml zeigt zwar
Vorkommen, aber auch den gewaltigen Partialdruck an. Somit müsste man auf
Turbomolekularpumpen zurückgreifen um genug Atmosphäre zu verdichten, bis
man nennenswert Wasser erhält. Die haben keine so tolle Standzeit.
- Das Hail Mary Pass - Manöver mit dem Angleichen der Geschwindigkeiten
durch Fly like Iron Man ist sehr off. In einem Anzug ohne "Rucksack" sind
mit dem Inhalt einer Flasche etwa 400gr Gas. Selbst wenn die "Düse" im
Handschuh perfekt ist und das Gas mit der Schallgeschwindigkeit des
höheren Drucks austritt, wird das um einige Faktoren nicht für die
fehlenden 1,7km pro Sekunde reichen und sowohl im Buch als auch im Film
steigt Watney dabei sogar in einen höheren Orbit auf.
Post by Stefan RamDann wird erklärt, daß die buchstabenbasierte Kommunikation
schwierig sei, weil diverse Buchstaben nicht richtig ankommen,
die dann geraten werden. Daraufhin erhält der Erzähler zirka
150 Byte, mit denen er eine Datei modifizieren soll. - Hier wären
Maßnahmen zur Erkennung und Korrektur von Übertragungsfehlern
nötig, die aber nicht beschrieben werden.
Erst einmal müßten die
aufgeschrieben Bytes per Kamera wieder an die Erde zur Kontrolle
geschickt werden. Dann müßten Prüfsummen zur Kontrolle der
ursprünglichen und der veränderten Datei verwendet werden, bevor
die veränderte Datei in Gebrauch genommen wird.
Da das in Retrospektive mit nur wenigen Sätzen erzählt wird, können wir
das nicht ausschließen dass das so gedacht war und Andy Weir nur nicht zu
viele Leser mit Supernerdery abhängen wollte,
aber die NASA hat eine Allergie gegen löschprogrammierbare Speicher in
Raumfahrzeugen und "flyable code" wird in nichtlöschbaren PROMs abgelegt,
die etwas mehr Gammastrahlung abkönnen. In-flight-Reprogramming bei
Systemen mit endlicher Missionsdauer wurde wieder verworfen.
Post by Stefan RamAndere Dinge, die technische Fehler darstellen, fielen mir eher
unterschwellig auf, und mir war nicht sofort klar, daß sie
in dem Buch falsch sind. Wenn in dem Buch am Anfang zum Beispiel
ein schwerer Sturm auf dem Mars ist, nahm ich wohl einfach an,
daß der Autor das recherchiert hat und es eben so möglich ist.
Es gibt Sandstürme auf dem Mars.
Alle kleineren Rover hatten deswegen auch schräge Solarmodule oder wurden
vor Stürmen einen Berg hochgefahren und gingen bei Unterspannung in einen
Pre-Reset-State. Das reichte aber nicht für Opportunity, dessen
Solarmodule unter dem Staub versagten.
Curiosity und Perseverance haben deswegen (wieder) Plutoniumbatterien,
obwohl das nicht der NASA-Richtlinie entspricht.
Aber die dünne Atmosphäre überträgt nur einen Bruchteil (1/33 bei gleicher
Windgeschwindigkeit) der Kraft und die Nasa nimmt in Atmosphären Missionen
nur kleine Spiegel oder Patchantennen. Herumfliegende Antennen oder das
Umwerfen eines Atmospären-Flucht-fähigen Raumfahrzeugs sind eher
unwahrscheinlich...
Post by Stefan RamAls eine Geschichte ist das schon gut geschrieben,
aber es ist nicht unbedingt richtig wissenschaftsbasiert,
obwohl es in die Richtung geht.
Ich finde schön, dass die Hauptfigur im Buch der Typ-Erwartung entspricht
und die Handlung nicht mit einer Liebesstory überlagert wird. Drei Sätze
im Buch und eine schnippische Bemerkung im Film sind alles, was das
angeht. Ansonsten ist die ganze Handlung "Wie löse ich das Problem?". Auch
wenn die Lösungsstrategie nicht dem Stand der Forschung entspricht ist das
Buch von schöner konzeptioneller Reinheit.
Falk D.